Emily Vontz: Jung, weiblich – und im Bundestag: Werde ich überhaupt ernst genommen?
Für manche eine Angriffsfläche: Mein Alter und mein Geschlecht
Ernst genommen werden. Das ist so eine Sache. Ich habe das Gefühl, direkt auf zwei Ebenen eine Angriffsfläche zu bieten: Mein Alter und mein Geschlecht. Es gibt super viele Leute, die sich wahnsinnig darüber freuen, dass eine 22-jährige Frau in den Bundestag eingezogen ist. Und es gibt ein paar, die sich sehr daran stören…
Meine ersten Sitzungswochen sind vorbei, so langsam gewöhne ich mich an den Wechsel zwischen dem Saarland und Berlin. Dabei bin ich ein paar Mal in ganz witzige Situationen geraten.
Abgeordnete des Bundestages haben eine Art Bahncard 100, mit der sie in Deutschland die meisten Züge ohne zusätzliche Kosten nutzen können. Bei einer meiner ersten Fahrten nach Berlin zeigte ich das Dokument vor und erhielt im Gegenzug einen sehr überraschten Blick von der Kontrolleurin.
An der Pforte im Bundestag telefonierte die Sicherheitsfrau erst einmal mit der Polizeistelle, um abzuklären, ob ich denn wirklich eine Abgeordnete sei. Und in der Nähe des Plenarsaals fragte mich ein Polizist, was ich denn hier machen würde.
Der typische Bundestagsabgeordnete: 47 Jahre und männlich
Ich habe also schnell gemerkt: Auf unbestimmte Zeit werde ich anderen Menschen erklären müssen, wer ich bin und was ich mache. Und das ist eigentlich auch völlig okay, ich bin ja ganz offensichtlich kein durchschnittlicher Politiker im Bundestag. Der ist männlich, ca. 47 Jahre alt und schon seit mehr als 7 Jahren Abgeordneter. Das kann, wie oben erwähnt, zu lustigen Situationen führen. Ich kläre gerne auf, wer ich eigentlich bin und komme dadurch mit einigen Leuten ins Gespräch.
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Vor ein paar Wochen habe ich meine erste Frage im Europaausschuss gestellt. Und letzten Freitag durfte ich meine erste Rede im Bundestag halten. Und dabei habe ich gemerkt, wer scheinbar ein Problem mit mir hat. Ich habe das Gefühl, es sind vor allem die Kolleg*innen aus der AfD-Fraktion, die sich an meiner Anwesenheit stören. Wenn man die Bundestagsdebatten im Fernsehen oder Netz verfolgt, hört man nur selten Zwischenrufe von den anderen Parteien. In den Protokollen werden sie aber festgehalten: „Oje! Jetzt wird’s gefährlich!“, „Vielleicht könnten Sie sich aufs Dach kleben!“, „Mensch/-innen!“
Gesprochen habe ich in meiner Rede über Sprache in der Politik. Sie ist meiner Meinung nach oftmals kompliziert und sollte verständlicher werden. Aber Sprache sollte auch nicht verwendet werden, um Menschen unnötig Angst zu machen. Und die AfD macht das. Nach meiner Rede haben mich einige Nachrichten erreicht, die ziemlich hasserfüllt waren – damit habe ich gerechnet. In der Demokratie gibt es meistens keine schnellen, einfachen Lösungen. Das frustriert viele. Sich aber deshalb Hass und Hetze zuwenden? Das kann nicht die Antwort sein.
Eine ganz besondere Inspiration
Natürlich gab es auch ganz andere Reaktionen. Ein echtes Highlight waren die Nachrichten von denjenigen, die sich von mir gehört gefühlt haben. Ein paar kamen sogar von den Schüler*innen, die die Bundestagsdebatte von der Tribüne aus verfolgt haben! Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit meiner ersten Rede Julia, eine Schülerin, dazu inspiriere, politisch aktiv zu werden. Aber solche Nachrichten motivieren mich, genau so weiterzumachen. Und es ist toll, von Menschen wie Julia ernst genommen zu werden.
Eure Emily.
PS: Nächstes Mal werde ich hier ein paar Fragen beantworten, die mir immer wieder gestellt werden. Schreib mir gerne auch deine Frage an [email protected]
Emily in Berlin
Emily ist mit 22 Jahren seit Januar 2023 die jüngste Abgeordnete im Bundestag. Für newstr berichtet sie aus ihrem Alltag in Berlin. Als jüngstes Mitglied im Bundestag hat sie eine besondere Perspektive auf das politische Geschehen und möchte euch dabei so nah wie möglich mitnehmen. Schreibt ihr gerne auf Instagram oder informiert euch über sie auf ihrer Website.