Ehrenamt in Rheinland-Pfalz leidet nach der Pandemie – „Wir kriegen die Leute nicht zusammen“

Rheinland-Pfalz ist stolz darauf, beim Ehrenamt bundesweit an der Spitze zu liegen. Doch in der Pandemie hat das Engagement gelitten. Helferinnen und Helfer werden dringend gesucht. Not macht aber auch erfinderisch.
Stiefel und Helm eines Mitglieds der Jugendfeuerwehr (r) und einem erwachsenen Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr (l) stehen vor dem Feuerwehrhaus. +++ dpa-Bildfunk +++
Stiefel und Helm eines Mitglieds der Jugendfeuerwehr (r) und einem erwachsenen Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr (l) stehen vor dem Feuerwehrhaus. +++ dpa-Bildfunk +++

Kreative Umstellung in den Vereinen

Die Musik-Kapelle älterer Herren gründet eine Bigband, der Sportverein öffnet sich für die Modesportart Trampolin und der Vereinsvorstand verteilt die Aufgaben gleichberechtigt auf mehrere Schultern. Nach der Pandemie ist im Ehrenamtsland Rheinland-Pfalz Kreativität gefragt. Denn: „Die Folgen von Corona sind in unseren Vereinen immer noch zu spüren“, stellt Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) fest. „Manch einem Verein sind Mitglieder und vor allem Führungspersonal in den Vorständen verloren gegangen, und es wird dringend Nachwuchs gesucht.“

Viele Mitglieder verloren

Genaue Zahlen gibt es noch nicht. Allein 13 Prozent der Organisationen hätten während der Pandemie aber Mitglieder verloren und keine neuen gewonnen, sagt die Ministerpräsidentin und verweist auf die Befragung des Ziviz-Engagement-Barometers. „Das ist eine enorme Herausforderung, vor allem für unsere Vereine.“

Denn Rheinland-Pfalz ist stolz darauf, beim Ehrenamt in Deutschland Spitzenreiter zu sein. Fast jede zweite Person – insgesamt rund 1,7 Millionen Bürger und Bürgerinnen – sind der Landesregierung zufolge ehrenamtlich engagiert.

Rückgang bei Führungsverantwortlichen in den Gruppen und Vereinen

„Das Ehrenamt war aber schon vor Corona in der Transformation“, sagt SPD-Landtagsfraktionschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler, die das Ehrenamt zu einem ihrer Schwerpunkte gemacht hat. „Die Vereine hatten zwar noch viele Mitglieder, aber immer weniger wollten Vorstandsposten übernehmen.“ Viele Regularien und den Zeitaufwand, nennt sie als Gründe. „Die Leute wollen auch gerne beim Sportfest vom Verein teilnehmen, aber nicht auch noch aufbauen oder messen.“ Nach der Pandemie seien einige Ehrenamtliche nicht mehr zurückgegangen. „Viele verbringen ihre Zeit jetzt anders“, sagt Dirk Herber von der CDU-Landtagsfraktion.

„Übungsleiter, Trainer und Betreuer sind längst nicht so zurückgekommen, wie wir das brauchen“, stellt der Sprecher des Landessportbunds Dominik Sonndag fest. Genaue Zahlen gibt es aber noch nicht, auch nicht zur Resonanz auf die 2022 begonnene Mitgliederkampagne. Dabei unterstützt der Landessportbund die Ausbildung zu Übungsleitern und Trainern mit bis zu 500 Euro, für jedes neue Mitglied gibt es 15 Euro und Veranstaltungen zur Mitgliederförderung werden bezuschusst. Rund 6.000 Sportvereine gibt es im Land.

Auch die Karnevals- und Fastnachtsvereine haben in der Pandemie Mitstreiter:innen verloren, zumindest erstmal. „Es gibt auch Bremsspuren im Ehrenamt“, hatte Innenminister Michael Ebling (SPD) in der Debatte festgestellt. In Frankenthal etwa sei der Zug vor allem wegen zu wenig Teilnehmenden abgesagt worden, heißt es bei der Stadt. Der Grund: „Wir kriegen die Leute nach Corona nicht zusammen.“

Mitglieder in den freiwilligen Feuerwehren sinken

„Als Freiwillige Feuerwehr lebt man davon, Mitglieder zu gewinnen, indem man vor Ort zeigt, was die Feuerwehr ausmacht“, sagt der Sprecher des Landesfeuerwehrverbands Benedikt Wolter. Sämtliche Übungen, Feuerwehrfeste und Tage der offenen Tür mussten aber ausfallen. „Das haben wir schon gemerkt“, sagt Wolter, genaue Zahlen hat aber auch er noch nicht. Rund 220 Freiwillige Feuerwehren gibt es laut Innenministerium im Land mit etwa 51.000 Angehörigen.

„Wenn da keiner mehr hingeht, haben wir ein riesiges Problem“, sagt Bätzing-Lichtenthäler. „Eine Professionalisierung ist keine Alternative, die einfach so gelingen wird.“ Die Politik sei auch gefordert, über Anreize nachzudenken wie Vergünstigungen oder die Anrechnung von Zeiten bei der Freiwilligen Feuerwehr oder dem Deutschen Roten Kreuz auf ein Studium oder eine Ausbildung.

Kein Ehrenamt habe so eine lange Geschichte wie der Feuerwehrdienst, sagt Wolter. „Den Kopf in den Sand stecken, rettet nicht.“ Daher habe sich die Feuerwehr etwas einfallen lassen und etwa im Internet auf TikTok bei jungen Menschen für sich geworben. Die seien so viel besser als bei einem Feuerwehrfest davon zu überzeugen, dass die Feuerwehrleute „coole Menschen wie du und ich“ sind.

Politik muss unterstützen

„Es gibt gute Beispiele, die belegen, dass Mut und Innovation Früchte tragen“, ist auch Bätzing-Lichtenthäler überzeugt. Und weil nicht jeder Mitglied werden will, könnten auch Aufrufe an die Bürger helfen, ein bestimmtes Ereignis – wie einem Sportfest oder einem Karnevalsumzug – zu unterstützten. „Die Strukturen werden sich verändern müssen. Da steckt auch eine Riesenchance drin.“ Den Zusammenschluss eines Chors mit dem in der Nachbargemeinde, nennt die SPD-Politikerin als ein anderes Beispiel. „Wir müssen auch als Politik weiter schauen, wie wir diese Vereine zeitgemäß unterstützen können.“ Möglicherweise helfe finanzielle Unterstützung für Hauptamtliche, etwa als 450-Euro-Job.

Nach Einschätzung des CDU-Abgeordneten Herber kommt es vor allem auf Wertschätzung an. „Über Corona hat das Ehrenamt natürlich schwer gelitten, weil es von Gemeinschaft und Geselligkeit lebt, aber auch das Danke von der Kommunalpolitik konnte ja nicht so ausfallen wie sonst“, sagt Herber. „Man konnte ja nicht mal einen Spießbraten für die Truppe ausgeben, die Grünflächen pflegt“, sagt Herber. „Die Leute wollen kein Geld, keine große Aufmerksamkeit, aber Wertschätzung erfahren, für das, was sie tun“, betont Herber. „Die Gesellschaft braucht das Ehrenamt sehr, der Staat kann sich gar nicht um alles kümmern.“ Die Gesellschaft lebe vom ehrenamtlichen Engagement.

„Die Menschen sind nicht weniger engagiert, sie wollen sich weiter einbringen – vielleicht sogar mehr als in früheren Jahrzehnten“, sagt Bätzing-Lichtenthäler. „Aber: Sie engagieren sich freier, flexibler, ungebundener, außerhalb von Vereinsstrukturen.“ Als Beispiele nennt sie das Klima und Menschenrechte. „Die Aufgabe wird sein, Wege zu finden, wie unser klassisches, wertvolles Ehrenamt von dieser großen Bereitschaft zum Engagement ebenfalls profitieren kann.“

Programm: Neustart nach der Pandemie

Dreyer verweist auf das 2022 aufgelegte Programm „Neustart für Vereine nach der Pandemie“. Dazu komme praktische Hilfe für Vereine im Umgang mit sozialen Medien. Besonders wichtig sei ihr die eine etablierte Ansprechstelle für Vereine und Initiativen auf Landesebene, die Leitstelle Ehrenamt und Bürgerbeteiligung in der Staatskanzlei.

Deutsche Presse Agentur